Urbilder im Märchen

Der Zauber des Märchens

Es ruft !

Im Augenblick des Rufes – aus dem Altvertrauten sich hinauswagend in das Wagnis des Unbekannten, in das noch verborgene, gehütete Geheimnis des Lebens – webt sich ein Zauber in den Gerufenen.

„Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“

Hermann Hesse – ein Ausschnitt aus dem Gedicht „Stufen“
Zauberreich und Anderswelt im Märchen
Natur und Märchen – Das Zauberreich der Anderswelt

Analytischer Verstand versus Zauberkraft

Nicht der analytische Verstand, nicht die kühle Rationalität und nicht die wissenschaftliche Bestätigung sind es, derer sich das Märchen bedient. Ein Zauber lässt sich nicht einfangen, erklären und in ein festgelegtes Weltbild einpassen. Ein Zauber lebt zwischen den Welten und verbindet das Unerklärliche der Anderswelt mit der Lebenswelt der Wirklichkeit. Für unseren Verstand sind es Rätsel, die er zu lösen versucht. Doch wird es ihm nicht einmal annähernd gelingen in einer Realität, die unermesslich größer ist als er selbst. Nur wenn der Mensch bereit ist, sich einmal auch der Führung der Seele anzuvertrauen, wenn er sich hingibt und verzaubern lässt von den Wundern des Lebens, wird er tief befriedende Antworten finden.

Wahrlich eine Herausforderung ist es, bösen von gutem Zauber zu unterscheiden. Was ist Illusion, Betrug und Verführung zu Dienen dem Bösen, der Trennung und Unterdrückung? Welcher Zauber führt uns zum Guten, zum Miteinander, zur Gleichwertigkeit und in die Verbindung mit unserer inneren Natur?

Illusionen, Scheinwelten und Kopfgeburten

Im Banne der Zauberkraft der Märchen erinnern wir uns an unsere wahre Natur. Doch denken wir beim Lauschen nicht darüber nach. Wir sind gebannt wie der Märchenheld (w/m), der seinem Ruf folgend seinen abenteuerlichen Weg im Leben geht. Die Sehnsucht seines Herzens führt ihn. Die tiefe Sehnsucht nach Erfüllung, Einswerdung und Ganzheit.

Er/Sie hinterfragt nicht. Der Märchenheld (w/m) geht, begegnet und antwortet.
Er befindet sich immerzu präsent im Hier und Jetzt und erfüllt die Aufgaben, die ihm gestellt werden. Und die Antworten steigen aus seinem Herzen auf, es sind keine Kopfgeburten.

Wir könnten es verwechseln mit dem willenlosen Hinnehmen verlockender Rufe, dem süchtigen Getriebensein in einer illusorischen Scheinwelt. Etwas, das um uns wirbt und fangen, ja fesseln will für niedere, ausbeuterische Zwecke. Wo Gier und Neid durch unerfüllte Sehnsucht dem Getriebenen keine Ruhe lässt.

Doch diese Annahme zerplatzt wie eine Seifenblase angesichts der freiheitlichen Fülle am Ende des Märchens. Die Sehnsucht stillt sich in der Krönung und Hochzeit, in einem Gefühl der Integrität und ganzheitlichem Miteinander. Innerer und Äußerer Friede stellen sich ein. Bis dann das Leben ruft zu einem weiteren Entwicklungsschritt.

Magie des Augenblicks
Die Magie des Augenblicks – Eintauchen in den Moment
Erwachen aus dem Zauber

Mit dem Eintreten des guten Endes im Märchen erwacht der Lauschende wie aus einem Tagtraum, aus einer Art traumtänzerischen Trance, taucht wieder auf aus den Tiefen seiner Innenwelt. Der Zauber löst sich plötzlich, ein manchmal etwas schamhaftes Gefühl angesichts tiefer, nicht fassbarer Erkenntnisse kann kurz das Auftauchen ins „normale“ Leben begleiten, und auch ein magisches Berührtsein, das noch in den Augen flimmert.

Doch kaum erwacht und durch das Zaubergarn noch still verbunden mit dem magischen Märchengeschehen, spüren wir bald wieder das sich tagein, tagaus reproduzierende Mangelgefühl des modernen Alltags.

Kinder jedoch, die umso jünger, umso weniger aus sich und dem tief in ihnen angelegten inneren Wissen und Gespür um natürliche Kreisläufe herausgefallen sind, gehen ganz selbstverständlich über in ihr eigenes Spiel. Widmen sich sogleich wieder ihren eigenen Spielkreationen. Hier werden Teile des Märchengeschehens ganz selbstverständlich mit einbezogen, auch um das, was in ihnen anklingt, zu verarbeiten und zu integrieren in ihr Selbst und ihr eigenes Sosein und auch in ihre Lebenswirklichkeit.

Kinder in ihrer unbefangenen Ehrlichkeit und Präsenz, mit ihrem offenen Herzen allem und jedem gegenüber, sofern sie nicht schon in jungen Jahren traumatisiert sind, gehen ganz selbstverständlich den Weg des Helden (w/m).
Erwachsenen helfen die Märchen, sich an diese Selbstverständlichkeit und die natürliche Verbundenheit mit allem, was lebt, zurück zu erinnern und sich wieder zu verbinden mit ihrer inneren Weisheit und ihrer inneren Stimme der Wahrheit.

Märchenhafter Zauberwald
Nichts ist wie es scheint in der illusorischen Alltagswelt
Die Pforten schließen sich

Das kurze, auf den Punkt kommende Ende des Märchen, das so plötzlich vor der Tür steht, schließt sogleich die Pforte zur Anderswelt. Angesichts des Märchenverlaufes, ist das glückliche Ende nur für den kurzen Moment von Bedeutung und wirft den Lauschenden direkt aus seinem Seelenhaus und der Anderswelt – ZACK – zurück in die manifestierte Alltagswelt.

Der Zauberbann löst sich und alles, was eben noch ungefragt hingenommen klar und mit Herz und Seele erfasst wurde, wird sogleich wieder zu einer unwirklichen Geschichte.

Schnell weiß der Verstand sich zu schützen vor dem für den wissenschaftlichen Geist Unerklärlichen – es sind ja nur (Kinder-) Märchen. Was bleibt ist ein unbegreifliches stilles Staunen, ein Moment des Innehaltens und ein Leuchten in den Augen…

Seinen Platz in der Welt finden

Was im Menschen fühlt sich da angesprochen? Es ist das innere Kind, das auch den Erwachsenen durch sein Leben führt und Heimat findet in den Urbildern des Märchens. Die Urbilder sind größer als ein eingeschränkter wissenschaftlicher Blick auf die Dinge, sich bemühend, aber doch stets scheiternd, das allumfassende Leben zu begreifen. In den Urbildern des Lebens und des Märchens finden wir Antworten, Trost und Stille in einer wahnsinnigen lauten Welt.

Hier, im Zauber der Anderswelt kommt der Mensch zur Ruhe, und schöpft für sich das, was er braucht für eine neue, tragfähige, nährende Lebendigkeit, ein sich aufgehoben fühlen mit Körper, Geist und Seele. Gut genährt, erkannt und geliebt findet er seinen Platz in der Welt, in der Gemeinschaft mit allem, was lebt. Er findet Führung in sich selbst und Vertrauen in das ewige große Ganze.

Märchen sind zauberhafte Seelennahrung.

Sie verbinden uns mit unserer Geschichte, mit dem Flüstern der Ahnen, die hinter uns stehen und den Rücken stärken für ein Leben in Fülle, Freiheit und Verbundenheit mit allem, was lebt und webt.

Märchenhafte Landschaft
Die innere Märchenlandschaft hat viele Gesichter

Fotonachweise: Sarah Schmidt

Lies gerne auch den Beitrag: Mit Märchen innere Kernkompetenzen stärken

Hier findest Du das gesamte Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse: https://hhesse.de/gedichte/stufen/

Fotonachweis linke Spalte: Udo Steinert

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Sarah Schmidt - Märchenerzählerin und Naturcoach